Lernmodul ◕ |
Textquellen analysieren | Geschichte(n) schreiben |
Erster Weltkrieg | Modul 8 |
Schon wenige Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurden im Deutschen Reich die Lebensmittel knapp. Ab 1915 rationierten die Behörden die Grundnahrungsmittel und gaben Lebensmittelkarten aus. Dennoch kam es bald zu Versorgungsengpässen. Lange Schlangen vor den Geschäften und Hunger wurden zum Alltag der Menschen.
Die offizielle Propaganda sprach von der „Heimatfront“. Die Menschen sollten die Entbehrungen ertragen und so die Soldaten an der Front unterstützen. Aber wie reagierte die Bevölkerung auf den Mangel?
Bild zur Illustration | Unbekannter Fotograf: Anstehen nach Brot während des Ersten Weltkriegs (Foto vermutlich von 1914) | Vollständiges Bild und Bildnachweis (CC BY SA BArchBot, Wikimedia): Bild anklicken
Aufgaben
1 | Informiere dich im Schulbuch oder im Internet über die Versorgungslage der deutschen Bevölkerung im Ersten Weltkrieg. Verfasse dafür jeweils eine kurze Beschreibung für zwei der folgenden Begriffe:
Lebensmittelkarte – Steckrübenwinter – Hamstern – Suppenküchen – Lebensmittelpolonaise
2 | Beschreibe die Postkarte „Bürgerliches Kochrezept!“ (Quelle 1, siehe unten). Erkläre, welche Botschaft die Postkarte transportieren soll.
3 | Beschreibe anhand der Quellen 2 bis 5, wie sich die Versorgungssituation der Bevölkerung im Verlauf des Ersten Weltkriegs veränderte und wie die Menschen auf die Lebensmittelknappheit reagierten.
4 | Diese Aufgabe könnt Ihr am besten zu zweit bearbeiten. Stellt euch folgende Situation vor: Im November 1916 sollen die Rationen für Brot noch einmal gekürzt werden. Die Behörden begründen die Entscheidung damit, dass das Brot für die Soldaten an der Front gebraucht werde. Eine Arbeiterin kommt ins Rathaus, um sich beim Ortsbürgermeister über die Kürzungen zu beschweren. Verfasst einen Dialog.
Quellen | hier auch als pdf
Quelle 1 | Bildpostkarte „Bürgerliches Kochrezept“, datiert 3.10.1917 | mit freundlicher Genehmigung von bildpostkarten.uni-osnabrueck.de
Quelle 2 bis 5 | Polizeiberichte | Die Polizeibehörden sammelten Berichte und Meldungen zur Stimmung in der Bevölkerung | Quellennachweise: Quelle 2-4: Beck, Friedrich: Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 4, 1914-1918. Berichte des Berliner Polizeipräsidenten zur Stimmung und Lage der Bevölkerung in Berlin, 1914-1918. Bearbeitet von Ingo Materna und Hans-Joachim Schreckenbach unter Mitarbeit von Bärbel Holtz, Weimar 1987. Quelle 5: Grotjahn, Karl-Heinz: Stahl und Steckrüben. Beiträge und Quellen zur Geschichte Niedersachsens im Ersten Weltkrieg (1914-1918), Bd. 2, Hannover 1993, S. 410f.;
Quelle 2 | Berlin, 21. August 1915
Trotz der günstigen Lage des Arbeitsmarktes leidet ein großer Teil der Bevölkerung noch immer recht schwer unter den hohen Lebensmittelpreisen, die bei Milch und Gemüse noch weiter gestiegen sind. Nach einer vom Statistischen Amt der Stadt Berlin gefertigten Zusammenstellung sind für 24 der gebräuchlichsten Lebensmittel (verschiedene Arten von Speck, Schmalz, Wurst, Käse, Kakao, Bohnen, Erbsen, Graupen, Haferflocken, Reis und Speisekartoffeln) die Preise vom 1. August 1914 bis zum 1. August d. J. insgesamt um 130 % gestiegen.
Quelle 3 | Berlin, 30. September 1915
Die Stimmung unter der Großberliner Arbeiterbevölkerung ist, wegen der andauernden Steigerung der notwendigsten Nahrungs- und Genussmittel, eine recht gedrückte. […] Sobald z.B. irgendein notwendiges Lebensmittel eine weitere, teilweise wucherische Preissteigerung erfahren hat, so stehen die kaufenden Arbeiterfrauen in kleineren und größeren Gruppen umher und geben ihren Unwillen in lebhafter Weise untereinander zum Ausdruck. Es herrscht hierbei eine äußerst gereizte Stimmung unter diesen Proletarierfrauen, und die Maßnahmen der Regierung erfahren hierbei häufig eine recht gehässige Kritik. Es darf nicht wundernehmen und muß damit gerechnet werden, daß es gelegentlich solcher Vorkommnisse mal zu Tumulten kommt und wucherischen Händlern die Waren k. H. [kurzer Hand] weggenommen oder zerstört und auf die Straße geworfen werden. […]. Es bedarf dann nur noch eines kleinen Anlasses, und der Krawall ist fertig […]. Jedenfalls sind die Aussichten für den kommenden Winter recht bedrückend.
Quelle 4 | Berlin, 16.Oktober 1915
Am 15. d. Mts., abends ½ 7 Uhr rottete sich vor dem Zweiggeschäft der Butterhandlung von J. F. Assmann […] eine Menschenmenge, die allmählich auf etwa 1000 Personen anwuchs, zusammen und warf die ungeschützten Schaufenster mit Steinen ein; an der Plünderung der Schaufenster und des Ladens wurde die Menge durch herbeigeeilte Revierbeamte gehindert. Es gelang nicht, die Täter festzustellen. [… Es muss] darauf hingewiesen werden, daß die stete so erhebliche Steigerung der Butter- und Fettpreise eine immer mehr um sich greifende Erregung und Erbitterung verursacht, die allerdings auch zu größeren und bedenklicheren Ausbrüchen der Unzufriedenheit führen kann.
Quelle 5 | Hamburg-Harburg, 13. Januar 1917
Gestern Nachmittag gegen 6 1/2 Uhrsammelten sich vor dem Rathaus und in der Lindenstraße etwa 1.000 bis 1.200Personen […]. Die Menge johlte undschrie: „Hunger! Wir wollen die Steckrüben nicht mehr; der Zylindermann (Helms) will kein Mehl und Haferflocken, sowie Gries rausrücken; es ist genug da, aber es soll wohl erst noch teurer werden usw.“ Ehe es verhindert werden konnte, sind im Rathaus und in der Wohnung des Herrn Bürgermeisters Denicke je 4 Scheiben mittels Steckrüben, Glasflaschen etc. zertrümmert worden. Mit den wenigen mir zu Gebote stehenden Polizei-Sergeanten […] gelang es mir, die Ansammlung zu zerstreuen, wobei mir besonders Frauen, die ich in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, wieder zuschrien:“Hunger! Die Herren haben zu essen und uns füttern sie mit Steckrüben. In anderen Städten gibt es doch zu essen, aber hier kümmert man sich darum nicht.“
Der Beitrag „Heimatfront“: Die Menge schrie: „Hunger!“ erschien zuerst auf segu Geschichte.